Glockenaufzug

Ich lobe den Herrn, rufe das Volk, versammle die Priester, beklage die Toten, zerteile das Gewölk und verkünde die Feste.

Glocken1937Weihe01-1«Laudo Deum verum, plebem voco, …»

Vor 70 Jahren, am 4. Juli 1937, wurden die Glocken der neuen Pfarrkirche St. Nikolaus durch Bischof von Streng geweiht; am 5. Juli 1937 half Gross und Klein beim Aufziehen der Glocken in den Turm, zuvor, am 1. Juli, waren sie feierlich in Aarau aus der Glockengiesserei Rüetschi abgeholt worden. «In der Morgenfrühe (1 Uhr) des 1. Juli fuhren 4 Wagen mit 18 Pferden bespannt, freudig nach Aarau und am Nachmittag um 3 Uhr erwarteten Schuljugend und Volk die langersehnten Glocken an der Gemeindegrenze. Freudig bewegt und festlich grüssend empfing Jugend und Volk die Ankömmlinge und begleiteten sie unter den Klängen der Musik zum Weihegerüst vor der Kirche. Der Pfarrer grüsste die neuen Glocken.» Wie der Chronist weiter berichtet, wurden die Glocken dann am 4. Juli feierlich durch Bischof von Streng geweiht, am folgenden Tag aufgezogen, am 10. Juli von Hand probegeläutet. Am 23. Juli, nach dem elektrischen Probeläuten, berichteten die Experten: «Das harmonisch reiche Gesamtgeläute entwickelt eine Tonfülle, eine Feierlichkeit und einen Wohlklang, die jedes Ohr entzücken, jedes Herz ergreifen und erfrischen.» Bei der Glockenweihe wurden die Glocken getauft, gesalbt und geräuchert: fortan sollten Glockenton und Stundenschlag für die Gläubigen eine mahnende Erinnerung an das Himmlische sein.

Totenglocken um 19.30

«Beklage die Toten», so heisst es unter anderem im Segensspruch über die Glocken. Die Totenglocke läutet, wenn jemand aus der Gemeinde gestorben ist. In der Regel wird auch bei nicht katholischen Einwohnern geläutet. Meist wird die Totenglocke dann geläutet, wenn der Tod in der Kirche am Ende eines Gottesdienstes ausgekündet wird. Beginnt das  Geläut mit der tiefen Glocke, bevor das Gesamtgeläute einsetzt, so ist ein Mann gestorben. Beginnt das Geläut mit der kleinsten, hohen Glocke, so ist eine Frau gestorben. Für ein  verstorbenes Kind beginnt und endet das Geläute mit der hohen Glocke. Weil heute unter der Woche selten ein Gottesdienst ist, läuten wir die Totenglocken werktags neu am Abend um 19.30 Uhr, wenn jemand gestorben ist. Damit wollen wir diese alte Tradition sinngemäss fortführen.

Erinnerung ans Himmlische

Ist es in heutiger Zeit überhaupt noch sinnvoll, mit Glocken zu läuten, wo wir doch viel schnellere und präzisere Kommunikationsmittel haben? Gehen sie nicht im allgemeinen Lärm unter? Die Kirche, auch wenn sie noch einigermassen mitten im Dorf steht, ist ja nicht mehr das Zentrum des Lebens, die Gottesdienste sind nicht mehr so zahlreich besucht. Trotzdem oder erst recht: Die Glocken künden von der Gegenwart Gottes in unserer Welt, davon, dass wir als gläubige Menschen Gott in unserem Leben einen Platz geben wollen. Nicht zuletzt das Betläuten erinnert uns jeweils einen Moment daran, dass unsere  Lebenszeit nicht unendlich ist, dass es sich vielleicht auch lohnt, kurz anzuhalten, Gott zu danken und um seinen Schutz zu bitten. Wenn jemand gestorben ist, so verkünden es die Glocken im ganzen Dorf, laden zu Gebet und Besinnung ein. Es beeindruckt, die Berichte von der Glockenweihe vor 70 Jahren zu lesen: mit welchem Enthusiasmus die Glocken erwartet, begrüsst, geweiht und aufgezogen wurden. Ja, die Kirche war damals ein Mittelpunkt des Dorfes, stolz waren die Geuenseer auf ihre eigene Pfarrkirche, stolz darauf, eine eigene Pfarrei zu sein. Vielleicht können wir die Minarett-Diskussion auch aus dieser Sicht sehen: Ist es nicht verständlich und sinnvoll, wenn auch muslimische Gemeinden am einen oder andern Ort hier in der Schweiz bei einer Moschee ein Minarett, einen Turm bauen wollen, als sichtbares Zentrum ihres Gemeinschaftslebens und ihrer Identität? Für viele Menschen in unserem Dorf sind Glocke, Turm und die weithin sichtbare Uhr unverzichtbar, weil für sie nach wie vor der alte Segensspruch gilt: «Ich lobe den Herrn, rufe das Volk, versammle die Priester, beklage die Toten, zerteile das Gewölk und verkünde die Feste.» Ich glaube, es lohnt sich, Gott, wie immer wir ihn nennen und welcher Glaubensgemeinschaft wir angehören, einen Platz in unserem Leben und Alltag zu geben, einander in Würde und Respekt zu begegnen.

Christof Hiller-Egli